Schwerpunktthemen
der Projektausschreibung 2017
(A) Das politische Erbe Europas im Europäischen Jahr des Kulturerbes
Die Kommission der Europäischen Union plant, das Jahr 2018 unter dem Motto "Sharing Heritage – Gesellschaft im Wandel" zum Europäischen Jahr des kulturellen Erbes auszurufen. Im Begründungstext wird betont, "dass besonders in einer Zeit, in der Weltkulturschätze in Gefahr sind und in Konfliktgebieten zerstört werden, dem kulturellen Erbe 2018 ein Europäisches Jahr gewidmet werden sollte". Ein solcher Plan wirft jedoch Fragen auf – insbesondere angesichts der Anzeichen der "Integrationsmüdigkeit", in der die EU derzeit selbst zu stecken scheint. Nach dem beschlossenen "Brexit" wurden in den letzten Monaten verschiedene weitere Exit-Szenarien einzelner Mitgliedstaaten in politischen Analysen durchgespielt. In vielen dieser Länder macht sich national(istisch) motivierter Unmut über die EU-Grenz- und Flüchtlingspolitik breit. Die bereits mehrere Jahre anhaltende ökonomische Krise mit verheerenden Auswirkungen für die finanziell schwächsten Euro-Länder vertieft diese düstere europäische Stimmung. Auch die Erstarkung populistischer Parteien und die um sich greifende Fundamentalkritik an den Einrichtungen und Politiken der EU lassen Sorge um die Zukunft Europas aufkommen. Wohin steuert die EU? Wird die Union, die u. a. vom Ziel eines nachhaltigen Friedens getragen wird, als politisches Erbe Europas sich selbst erhalten können? Welche gesellschaftlichen Akteure können dazu beitragen? Welche Rolle kommt hier der (politischen) Bildung zu? Welchen Beitrag kann das Konzept des globalen Friedens leisten?
(B) Populismus, Autoritarismus und die "illiberale Internationale"
Viktor Orbán nannte vor einigen Jahren sein politisches Modell eine "illiberale Demokratie". Dieses Modell beschränkt sich allerdings nicht auf den EU-Mitgliedstaat Ungarn: Von Polen über Russland und die Slowakei bis hin zur Türkei ist derzeit die deutliche Tendenz zu beobachten, dass gewählte Parteien und Personen ihre Machtpolitik an der Einschränkung oder sogar Aufhebung der Grundrechte und individueller Freiheiten ausrichten. Manche BeobachterInnen reden in diesem Zusammenhang von der Entstehung einer "illiberalen Internationale". Populistische und autoritäre Politik, legitimiert durch ein formalrechtlich gültiges Plebiszit, scheint weltweit auf dem Vormarsch zu sein. Charismatische Führungspersonen reißen im Zuge solcher politischer Handlungen die Herrschaft allmählich an sich und machen jede Opposition durch Verbote, Verfolgung, juristische und mediale "Gleichschaltung" mundtot. Dabei unterstützen nicht-gewählte "ExpertInnen" solche nationale Regierungen, und LobbyistInnen setzen die Interessen von Eliten durch. Es fällt auf, dass diese Entwicklung im Rahmen formal-demokratischer Verfahren verankert bleibt, sodass "autoritäre Herrschaft" mittlerweile keinen direkten Gegensatz zur Demokratie mehr bildet. Was bedeutet aber dann Demokratie angesichts dieser Entwicklung einer illiberalen Internationale? Was kann autoritären und populistischen Politiken entgegengesetzt werden? Welche diesbezüglichen Gefahren (und Gegenmaßnahmen) sind für Länder mit gefestigteren demokratischen Institutionen denkbar?
(C) Religion, Frauen und die "Wertedebatte"
Spätestens seit der Silvesternacht 2015/16 in Köln eskaliert die schon lange anhaltende "Wertedebatte" mit Blick auf die Gender-Verhältnisse und -Rollen, und die Unterscheidung der globalen Bevölkerung in "Wir" und "die Anderen" wurde als eine kulturelle und religiöse Tatsache verfestigt. Vergleichende Diskussionen über Religionen werden seit jeher auf dem Rücken und am Körper von Frauen ausgetragen. Die Rede um "fremde Religionskulturen" rückt das Klischee der rückständigen Frau in einer passiven, stummen und unterdrückten Rolle ins Zentrum. Zwar geht es diesmal um den Schutz der "abendländischen Frau" vor dem "morgenländischen Mann". Doch auch in aktuellen medialen und politischen Diskursen um Verschleierung bilden sich neue Allianzen – nicht selten zwischen vermeintlichen (vorwiegend männlichen) Frauenrechtlern und rechtspopulistischen PolitikerInnen, die sich als RetterInnen "der muslimischen Frau" präsentieren. Ohne Zweifel erfahren Frauen und Mädchen durch zumeist männlich dominierte (auch religiöse) Traditionen und Praktiken Unterdrückung und Benachteiligung. Was dabei gerne vergessen wird: Frauen auf der ganzen Welt üben selbst Kritik an "ihren" Religionen und suchen nach Neuinterpretationen schriftlicher Quellen und überlieferter Vorschriften sowie nach neuen Geschlechterrollen. Wie kann jenen unter dem Deckmantel der Religionskritik geführten frauenfeindlichen Politiken und Diskursen entgegnet werden? Welche Positionen sind jenseits der Zwickmühle "Wegschauen versus Retten" möglich?
(D) Das Internet als politischer Ort
Wie sonst kein Bereich des sozialen Lebens ist das Internet von Metaphern durchdrungen. Seit fast zwei Jahrzehnten reden wir von "Daten-Highway", "Online-Zeitung", "Foren", "Chatroom" oder "E-Government"; es gibt dort "Weblogs", wir schließen "Freundschaften", "teilen" Inhalte und schicken "Carbon Copies" von "Mails". Das sind allesamt Wörter, die Begriffe und Konzepte aus dem "wirklichen" Leben ins virtuelle übertragen. Das Datennetz gibt zum Großteil jene Verhältnisse wieder, die in "Echtzeit" vorhanden sind. So finden sich soziale und politische Polarisierungen ebenfalls im Web. Hassreden, diskriminierende und verbal gewalttätige Aussagen, aggressive Parolen fallen am "Stammtisch" genauso wie auf Online-Diskussionsseiten und in sozialen Medien. Der Unterschied liegt in der unvergleichbar größeren Reichweite des Webs gegenüber dem Stammtisch oder den LeserInnenbriefe-Seiten der Printzeitungen. Somit werden auch die Grenzen zwischen Privat und Öffentlich verschoben, und die für das "echte Leben" gültigen Umgangsregeln finden keinen unmittelbaren Eingang in den virtuellen zwischenmenschlichen Umgang, in die sogenannte Netiquette. Dennoch ist das Internet nicht nur eine Sphäre, in der bloße Verbreitung von Schund und Hassreden stattfinden würde. Als politischer Ort stellt es eine ungeahnte Möglichkeit bereit – für jene, die Informationen und Wissen austauschen, sich vernetzen, politisch aktiv werden und Initiativen koordinieren. Projekte, die zehn Jahre nach dem Boom des "Web 2.0" die Rolle des Internets für Politik und politische Bildung wieder (und differenzierter) bewerten, sind gefragt.
(E) Die Achter-Jahre
Gedenktage spielen eine wesentliche Rolle in der Herstellung und Aufrechterhaltung des kollektiven Gedächtnisses – vor allem in den Nationalstaaten. Sie dienen der Identitätsstiftung, der Selbstvergewisserung über die eigene Vorstellung von einem kollektiven "Wir". Als solche sind sie freilich auch ein guter Anlass, vorhandene und historisch gewachsene Selbstbilder zu hinterfragen und zu verändern. Österreich gehört zu jenen Ländern, in denen Gedenkjahre eine besonders wichtige Rolle spielen. Das Jahr 2018 bietet einen solchen Anlass, die jüngere Vergangenheit aus einer besonderen Perspektive zu betrachten, und das in mehrfacher Hinsicht. Denn 1918, 1938, 1948, 1968 und 1978 sind zeitgeschichtlich bedeutsame Jahre. Politische Ereignisse wie das Ende des Ersten Weltkrieges und die Ausrufung der Ersten Republik, der "Anschluss", die Gründung des Staates Israel und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die StudentInnenbewegung und emanzipatorische Revolte der Jugend sowie die Volksabstimmung und Proteste rund um das Atomkraftwerk Zwentendorf fallen allesamt auf die sogenannten "Achter-Jahre" des 20. Jahrhunderts. Wie hängen die Ereignisse der "Achter-Jahre" zusammen, wie wurden sie bisher zelebriert, und was bedeuten sie für die Gegenwart? Wie kann und soll politische Bildung Geschichte greifbar machen und Erinnerungsarbeit gestalten?