Das Politische der Kultur – die Kultur des Politischen
Videoaufzeichnung der Vortragsreihe 2022
Renate Höllwart, Videoaufzeichnung vom 13. Oktober 2022, Depot
© ÖGPB (Video: Peter R. Horn)
Hakan Gürses, Videoaufzeichnung vom 3. November 2022, Depot
© ÖGPB (Video: Peter R. Horn)
Nathalie Borgers, Videoaufzeichnung vom 15. November 2022, WERK X (Meidling)
© ÖGPB (Video: Peter R. Horn)
Anke Schad-Spindler, Videoaufzeichnung vom 1. Dezember 2022, Depot
© ÖGPB (Video: Peter R. Horn)
Eine Vortragsreihe der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB) in Kooperation mit dem Depot und dem WERK X
„Kultur“ ist ein typischer Containerbegriff, der mit nahezu unendlich vielen Bereichen und Attributen assoziiert wird. Wir sprechen von Kunst und Kultur, nationalen oder regionalen Kulturen, von Firmenkultur, Kulturtasche oder kultureller Differenz, lesen in der Kulturseite der Zeitung und bekritteln die fehlende politische Kultur; es gibt Pflanzenkulturen ebenso wie alte Kulturen, kultivierte Menschen und kulturelle Werte ...
Den Höhepunkt seines öffentlichen Gebrauchs erlebte der Begriff mitsamt Ableitungen wohl in den 1990er Jahren, nicht zuletzt durch heftig geführte Debatten um die Migration und die Parole vom „Kampf der Kulturen“, der – so die These – weltweit die neue Ursache für kriegerische Konflikte bilden würde. Der seither weitverbreitete Ansatz, gesellschaftliche Verwerfungen durch kulturelle Unterschiede zu begründen, rief wiederum den Vorwurf hervor, hier sei ein „Kulturalismus“ am Werk, der soziale Probleme als kulturelle auslege und somit den Diskurs um „Fremdheit“ und „Othering“ begünstige. Kritiker*innen des Kulturalismus verordneten Sozialwissenschaften, Medien und dem öffentlichen Diskurs mehr Politik statt Kultur und brachten somit diese beiden gesellschaftlichen Sphären gegeneinander in Stellung.
Ein Blick in die Didaktik des Politischen zeigt jedoch relativ bald, dass Kultur und Politik keinen Gegensatz bilden. Kulturelle Bildung, Kulturvermittlung, Kulturpolitik oder politische Kunst sind nur einige Stichworte im Kontext der politischen Bildung, die den engen Zusammenhang zwischen den Subsystemen Kultur und Politik aufzeigen. Politik hat stets einen kulturellen Ausdruck, um die die Bürger*innen zu „erreichen“. Kultur ist somit ihrerseits politisch, da sie zur Vorstellung nationaler oder gemeinschaftlicher Homogenität eingespannt oder umgekehrt zur Kritik dieser Imagination herangezogen wird. Der britische Kulturwissenschaftler und Literaturtheoretiker Terry Eagleton schreibt: „Kultur ist eine jener seltenen Ideen, die für die politische Linke ebenso integrierend wirken, wie sie für die politische Rechte lebenswichtig sind.“
Die Vortragsreihe will zum Verständnis der verschiedenen Bedeutungen beitragen, die Kultur im Rahmen der Politik sowie der politischen Erwachsenenbildung einnimmt bzw. einnehmen kann. Es gilt herauszuarbeiten, wie das Politische im Kulturellen funktioniert und vice versa.
Damit setzt die ÖGPB ihre seit 2010 stattfindende jährliche Vortragsreihe zur politischen Erwachsenenbildung auch 2022 fort. Neben dem langjährigen Kooperationspartner Depot ist heuer das WERK X Kooperationspartner und Mitveranstalter. In den beiden Häusern finden im Herbst 2022 vier Vorträge statt.
Do., 13. Oktober 2022, 19:00 Uhr, Depot
Renate Höllwart
Strategien kritischer Kunstvermittlung
Wer spricht, und was gilt eigentlich als relevantes Wissen? Welche Strategien können vorherrschende Wissensformen in Bildungsprozessen unterlaufen? Wie lassen sich kollaborative Prozesse gestalten, in denen sich in der Aushandlung von Positionen und Rahmenbedingungen neue Räume für demokratisches Handeln öffnen? Kritische Kunst- und Kulturvermittlung setzt an der Schnittstelle von künstlerischen Strategien und emanzipatorischer Bildung einen Prozess des Verlernens in Gang. Entlang von Konzepten und Erfahrungen aus der Vermittlungspraxis von trafo.K werden Möglichkeiten und Grenzen sowie Rahmenbedingungen des gemeinsamen Sprechens und Handelns beleuchtet und in Hinblick auf eine verändernde Praxis in Bildung, Kunst und Vermittlung reflektiert.
Renate Höllwart ist Kunst- und Kulturvermittlerin. Sie ist Mitbegründerin von Büro trafo.K, einem Kollektiv für Kunstvermittlung und kritische Wissensproduktion, im Kernteam von schnittpunkt. ausstellungstheorie & praxis sowie im Leitungsteam des ecm – educating/curating/managing an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Do., 3. November 2022, 19:00 Uhr, Depot
Hakan Gürses
Kulturalität als politisches Konzept
Seit gut drei Jahrzehnten ist „Kultur“ einer der politisch umstrittensten Begriffe. Für die eine Seite bilden kulturelle Unterschiede den Zündstoff für soziale Konflikte, folgerichtig müsse beispielsweise die Einbürgerung von Drittstaatsangehörigen an deren vollständige „Integration“ gebunden werden. Für die andere Seite hingegen ist Kultur nur eine vorgeschobene Ausrede, um brisante soziopolitische Fragen zu kaschieren und „Rasse“ durch „Kultur“ zu ersetzen. „Identitätspolitisch“ genannte Bewegungen jüngeren Datums wiederum problematisieren etwa „kulturelle Aneignung“. Wo der Kulturbegriff politisch für derlei Konfusion sorgt, kann indes das Konzept der „Kulturalität“ helfen, die kulturellen Aspekte des „Führens“ und „Regierens“ dem politischen Verständnis zu eröffnen.
Hakan Gürses ist wissenschaftlicher Leiter der ÖGPB.
Di., 15. November 2022, 19:00 Uhr, WERK X (Meidling)
Nathalie Borgers
Die Politik und das Politische im kulturellen und künstlerischen Schaffen
Inwiefern ist jedes kulturelle/künstlerische Schaffen ein politischer Akt? Wie kann man etwa einen Film konzipieren und dabei entscheiden, wie das Politische darin zum Ausdruck kommen soll? Wie entwickelt man einen künstlerischen Standpunkt, der nicht mit einer politischen Meinung zu verwechseln ist? Kann ein künstlerisches Werk auf ein Publikum wirken, das nicht mit dem angesprochenen Thema vertraut ist? Welche Kulturpolitik kann dabei helfen, dass Kunst ein breiteres Publikum erreicht? Diesen Fragen wird die Vortragende vor dem Hintergrund der eigenen konkreten Erfahrungen im Bereich Film und audiovisueller Medien nachgehen.
Nathalie Borgers ist Film-Autorin und Regisseurin, u. a. von „Kronenzeitung, Tag für Tag ein Boulevardstück“ (2002), „Die Frauenkarawane“ (2010), „The Remains. Nach der Odyssee“ (2019). Sie leitet einen Workshop über die Kunst des Dokumentarfilms an der Pariser Filmschule FEMIS.
Do., 1. Dezember 2022, 19:00 Uhr, Depot
Anke Schad-Spindler
Kulturelle und politische Bildung
Kulturinstitutionen sind auch Arenen demokratiepolitischer Auseinandersetzung. Die Pandemie stellte dabei ein liberales Kultur- und Demokratieverständnis auf die Probe. Museen, Theater und Konzerthäuser mussten geschlossen bleiben oder ihre Vermittlungsarbeit in den digitalen Raum verlagern. Gleichzeitig formierten sich – teils in unmittelbarer Nachbarschaft am Karlsplatz und am Heldenplatz – Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Fragen nach dem ökonomischen Überleben und der Rückgewinnung des Publikums überlagern momentan weitere notwendige Diskussionen, etwa: Wie können Kulturinstitutionen als Teil der urbanen Öffentlichkeit gesellschaftliche Auseinandersetzungen fördern? Wie können kulturelle und politische Bildung zusammenwirken, und wo ist es notwendig, beides zu trennen?
Anke Schad-Spindler forscht zu Kulturpolitik und kultureller Bildung in akademischen und angewandten Kontexten.