Schwerpunktthemen

der Projektausschreibung 2019

 

(A) Umwelt und Klima

Der „Hitzesommer 2018“ fachte in Österreich die mediale Debatte über den Klimawandel einmal mehr an. Die Umwelt- und Klimakrise spitzt sich global zu, und ihre Folgen werden (auch hierzulande) zunehmend spürbar. Wetterextreme drohen, weite Teile der Erde in naher Zukunft unbewohnbar zu machen, der jeweiligen Bevölkerung die Lebensgrundlage zu entziehen und Fluchtbewegungen auszulösen. Asymmetrische Machtverhältnisse (etwa zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden) haben oft ungleiche Folgen für Betroffene der Umweltkrisen.
Obwohl Umwelt und Klima zentrale politische Konfliktfelder sind, wird das Thema oft rein naturwissenschaftlich und technisch verhandelt; dies geht einher mit individualisierten Appellen zur „Rettung der Umwelt“. Unter dem Stichwort „imperiale Lebensweise“ (Ulrich Brand und Markus Wissen) etwa wird auch Kritik an solchen Individualisierungen geübt, ohne das Individuum aus der Verantwortung zu nehmen. Um eine sozial-ökologische Transformation samt Abkehr vom Wachstumszwang zu erreichen, müssten demnach die Produktionsverhältnisse anders gestaltet werden. Protestbewegungen im deutschsprachigen Raum nehmen vermehrt Bezug auf diese Vision (Hambacher Forst, Murkraftwerk, Lobautunnel etc.).
Wie können die vielfältigen Dimensionen von Umwelt- und Klimapolitik in der politischen Bildung vermittelt werden? Projekte, die didaktische Modelle und Praxisbeispiele zur Vermittlung der „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDG) der Vereinten Nationen beinhalten, sind besonders erwünscht.


(B) Strukturwandel des Wohlfahrtsstaates

Sprüche wie „soziale Hängematte“ oder „Leistung muss sich wieder lohnen“ sind heute längst nicht mehr bloß populistische Worthülsen, sondern bilden das ideologische Fundament für Beschlüsse und sozialpolitische Maßnahmen. Auch das wirtschaftsliberale „Bashing“ von Steuern findet seinen aktuellen Höhepunkt in der Forderung nach einer Senkung der Steuern- und Abgabenquote und einer „Entlastung“ von BürgerInnen. Parallel dazu werden Versicherungsleistungen und Sozialausgaben gekürzt (etwa: Änderungen bei Arbeitslosengeld und Mindestsicherung), um das neoliberale Ziel eines „schlanken Staates“ zu erreichen.
Der Wohlfahrtsstaat steht durch gesellschaftliche Entwicklungen wie Migration oder durch demografische Veränderungen vor neuen Fragen (etwa: Alterung der Bevölkerung und Wandel des Pflege- und Gesundheitswesens). Solche Herausforderungen sowie der zunehmende Abbau von sozialen Errungenschaften und Rechten zeugen von einem Strukturwandel des Wohlfahrtsstaates. Dessen Auswirkungen betreffen Bevölkerungsgruppen in verschiedenem Ausmaß. Durch die „Privatisierung des Sozialen“ gewinnen der Familienverband und das soziale Umfeld als Akteure an Bedeutung – traditionelle Geschlechterrollen drohen, sich dadurch zu verfestigen. Auch Ungleichheiten können sich bei fortdauerndem Sozialabbau ausweiten.
Welche Aspekte der Transformation des Wohlfahrtsstaates sind darüber hinaus zu beobachten? Welche Auswirkungen hat ein solcher Strukturwandel auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen im nationalen und globalen Maßstab? Projekte, die diese und ähnliche Fragen thematisieren, sind ebenso gefragt wie Projekte, die gegenläufige Alternativen und Tendenzen beschreiben.


(C) Wo liegen die Grenzen Europas?

Während sich der Name Europa noch im 5. Jahrhundert v. Chr. nur auf die Peloponnes bezog, gelten heute (neben Griechenland) auch die Azoren oder Zypern als Europa, nicht aber der Großteil Russlands oder der Türkei. Die geopolitischen, kulturellen und historischen Gründe solcher Ein- bzw. Ausgrenzung waren/sind (auch bei Wandel dieser Grenzen) stets ideologisch-politisch motiviert. Als was Europa jeweils aus der Innen- oder Außenperspektive betrachtet werden soll, ist eine umkämpfte Frage, die unterschiedlichen „Wir-sie-Konzepten“ unterliegt. Seit einigen Jahrzehnten wird dieser Subkontinent durch die Europäische Union (als supranationales Wirtschafts- und Friedensprojekt) definiert. Immer wenn jedoch Unterscheidungsmerkmale Europas benötigt werden, die über die EU hinausgehen, tauchen normative und kulturalistische Aspekte auf. So auch aktuell: Weil das Selbstverständnis vom Zusammenhalt der EU durch Brexit, durch unterschiedliche Migrationsregime oder Außenschutz-Politiken der Mitgliedstaaten allmählich geschwächt wird, bildet sich angesichts von Flucht und Migration ein gemeinsamer Nenner heraus, der auf ideologisch aufgeladenen Vorstellungen wie „europäische Werte“ und „abendländische Kultur“ fußt. Zu beobachtende sozialpolitische (Schwächung des Wohlfahrtstaates) und demokratiepolitische (illiberale Demokratien, autoritäre Wende) Veränderungen können aber auch dazu führen, dass solche kulturalistischen Abschottungsversuche gegenüber den „radikal Anderen“ (vor allem muslimischen MigrantInnen und Geflüchteten) durch neue, innereuropäische Trennlinien ersetzt werden. Auf der anderen Seite hat Europa eine aufklärerische Tradition, die mit Konzepten von Menschenrechten und nachhaltigem Frieden einhergeht und auf die bei Gefährdung all dieser Standards durchweg auch rekurriert werden kann.
Wovon reden wir also, wenn wir Europa sagen: von einem Kontinent, einem Zweckbündnis, einer organisatorischen Einheit, einer kulturellen-historischen Identität oder einer politischen Tradition? Wie kann das Thema der Grenzen und Grenzziehungen Europas in politischer Bildung behandelt werden? Kann Politik überhaupt ohne Ausgrenzungen auskommen?


(D) Gerechte Sprache

Der wohl meistdiskutierte Aspekt des „gerechten Sprechens“ ist das Gendern. GegnerInnen werfen dieser „überzogenen politischen Korrektheit“ unlesbare und umständliche Ergebnisse vor. BefürworterInnen einer geschlechtergerechten Sprache wiederum argumentieren, das männliche Generikum sei ausgrenzend und Sprache bilde Wirklichkeit nicht nur ab, sondern bringe diese erst hervor. Auch geschlechtergerechte Sprache entwickelt sich laufend weiter und ist Gegenstand von politischen Diskussionen. Das Hauptargument dabei lautet: Bei Sprache handelt es sich nicht lediglich um Grammatik, sondern vor allem um Macht. Gerechte Sprache bedeutet jedoch nicht nur, dass Minderheiten und diskriminierte soziale Gruppen in der Sprache sichtbar/hörbar werden, sondern wer wie über sie spricht. Ein Beispiel ist die „Wertedebatte“ in Bezug auf Geflüchtete und MigrantInnen. Darin steht meistens die Anpassungspflicht an „abendländische Werte“ im Mittelpunkt; selten wird über die völkerrechtlich verbrieften Rechte von Geflüchteten gesprochen. In sozialen Medien sind sehr oft Angehörige von Minderheiten und diskriminierten Gruppen mit Hass konfrontiert, „Hassrede“ (Hate Speech) ist ein aktuelles Problem – auch für die politische Bildung. In öffentlichen Debatten wird beim Thema Mehrsprachigkeit auf Defizite fokussiert. Die Anerkennung von Mehrsprachigkeit als Voraussetzung für Partizipation und Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen kann jedoch zur Umsetzung einer gerechten Sprache beitragen.
Welche Aspekte umfasst eine gerechte Sprache? Was und wie kann politische Bildung zur Förderung der gerechten Sprache beitragen? Vor welchen Herausforderungen stehen wiederum politische BildnerInnen in diesem Zusammenhang?


(E) NGOs, Selbstorganisationen und Zivilgesellschaft

Non-governmental organisations (NGOs) nehmen als Teil der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle ein: Sie engagieren sich sozial-, menschenrechts- und umweltpolitisch und üben dabei oft Kritik an vorherrschender Politik. Ergänzt werden diese themenbezogenen Zusammenschlüsse durch sogenannte Selbstorganisationen von Minderheiten und diskriminierten Bevölkerungsgruppen. Im Zentrum der Selbstorganisationen stehen Rechte, wirtschaftliche oder soziale Lage und öffentliche Anerkennung dieser Gruppen. In zahlreichen europäischen Ländern sind NGOs, Selbstorganisationen und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen zurzeit mit massiven Umbrüchen konfrontiert. Autoritäre Regierungen (wie in Ungarn, Polen, der Türkei oder Russland) streben Gesellschaftsmodelle an, in denen NGOs keinen Platz haben bzw. durch staatliche Hand gegründet und gelenkt werden. Politisch unliebsamen Organisationen wird durch eine Strategie der systematischen Diffamierung (bis hin zur Kriminalisierung etwa der Seenotrettung von Geflüchteten) die Legitimation abgesprochen. Somit ändern sich auch die Handlungsspielräume und Arbeitsweisen von NGOs und Selbstorganisationen. Da finanzielle Förderungen durch staatliche Hand zunehmend wegfallen, wird auf andere Formen der Finanzierung zurückgegriffen. Crowdfunding kommt dabei ebenso zur Anwendung wie die Suche nach unabhängigen Stiftungen. Zugleich stellt sich die Frage nach Wandel von Arbeitsverhältnissen (Stichwort: Informalisierung, Prekarisierung, Selbstausbeutung) und demokratischen Strukturen innerhalb der NGOs/Selbstorganisationen.
Wie sind solche aktuellen Entwicklungen einzuschätzen? Welche Auswirkungen hat die Transformation von zivilgesellschaftlichen Organisationen auf die politische Bildung? Welche Organisations- und Finanzierungsmodelle wurden in den letzten Jahren mit Blick auf das Verhältnis „Staat und nicht-staatliche Organisation“ entwickelt?

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