Schwerpunktthema der ÖGPB Projektförderung 2021
Krise – Katastrophe oder Chance auf Neubeginn?
Seit Monaten dominiert die Covid-19-Pandemie weltweit den öffentlichen Diskurs. Seither folgt ihr auch der medial beliebte Begriff Krise. Von Politik bis Wissenschaft hält die Rede von der Corona-Krise nahezu alle gesellschaftlichen Sektoren besetzt.
In der Öffentlichkeit herrscht schon lange überhaupt der Eindruck, eine Krise würde die nächste jagen: etwa die globale Wirtschaftskrise 2008, bald auch Eurokrise genannt, gefolgt von einer fortlaufenden Legitimationskrise, die sich in einem Vertrauensverlust in politische Institutionen und Persönlichkeiten ausdrückt, und einer Demokratiekrise, die seit gut einem Jahrzehnt in autoritären Regierungen gipfelt. Die Fluchtbewegung nach Zentraleuropa im Jahr 2015 und die anschließende Debatte über Nationalstaaten und europäische Solidarität bekamen die Titel Flüchtlingskrise, Migrationskrise und Krise der Europäischen Union. Seit der Bewegung „Fridays for Future“ wissen auch politisch Nichtinteressierte, dass wir uns zudem in einer Klimakrise befinden.
Krise kommt aus dem Griechischen, ist mit Kritik wortverwandt und bezeichnet einen Zustand, dem eine entscheidende Wende innewohnt. Etwa im medizinischen Kontext: Die Krankheit kann zum Tode führen, oder es folgt die Heilung. An einem gesellschaftlichen Wendepunkt wiederum kann die Konfliktentwicklung in eine Katastrophe münden oder die Chance für einen Neubeginn bedeuten.
Wie Krisen (mitsamt ihren Ursachen) erkannt und (mitsamt ihren Auswirkungen) bewältigt werden können sowie wer für deren Kosten und gesellschaftliche Folgen aufkommen soll, sind höchst politische, umstrittene Fragen. Es ist außerdem eine bekannte Tatsache, dass die Auswirkungen einer Krise auf verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich ausfallen. Krisen können einen kollektiven Willen zur Rückkehr zur herrschenden „alten Ordnung“ ebenso auslösen wie eine Initialzündung für Kritik und Transformation. Zugleich besteht die Gefahr, dass Fragilität, Prekarität und soziale Unsicherheit in Krisenzeiten autoritäre Entwicklungen vertiefen und beschleunigen (Stichwort: Ausnahmezustand) können. Damit kann auch ein Rückfall in veraltete Geschlechterrollen einhergehen. Freilich erblicken manche in der Krise auch eine Chance für Innovationen. Viele Sozialwissenschafter*innen halten wiederum fest, dass Krisen einen Bestandteil unseres Wirtschaftssystems ausmachen und in regelmäßigen Abständen auftauchen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit die politischen Strategien zur Krisenbewältigung Verteilung, Umwelt und Solidarität als zentrale Agenden berücksichtigen.
Krisen können die Tendenz zum Rückzug ins Private beschleunigen. Individuelle Strategien der Resilienz haben in Krisenzeiten Hochsaison: etwa der Ruf nach Selbstoptimierung, die u. a. über Bildung erzielt werden soll. Resilienz ist indes auch ein soziologischer Begriff und befragt die Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft und ihrer Subsysteme in Krisenzeiten. So stellt sich auch die Frage, was Krisen (insbesondere die aktuelle Corona-Krise) für die Erwachsenenbildung und deren nahe Zukunft bedeuten.
Das diesjährige Schwerpunktthema lädt ein, über all diese (und weitere) Fragen im Zusammenhang mit dem Topos Krise nachzudenken und den Reflexionsprozess durch Projekte der politischen Bildung in die Öffentlichkeit zu tragen.
Bei der Projektförderung werden etwa 50 % der gesamten Fördermittel an Projektvorhaben vergeben, die sich mit diesem thematischen Schwerpunkt auseinandersetzen. Zu 50 % werden jedoch auch Projekte mit anderen Themen gefördert, um die Kontinuität der Bildungsarbeit zu gewährleisten.